Was unterscheidet mich von grob geschätzt 18 Prozent der Japaner? - Ich war noch nie in Neuschwanstein. Neuschwanstein, oder wie man es mir mal in meiner Sprachschule beschrieben hat: "The nice german castle with the strange name"... Mir ist immer noch nicht klar, was Japaner auf Deutschlandreise so an Neuschwanstein fasziniert... Aber für Japaner ist es wohl auch schwer verständlich, wieso wir Deutsche in Japan beim Anblick eines Getränkeautomaten oder einer vollen U-Bahn die Kamera zücken.
Oder wieso wir Ausländer zwar Dinge fotografieren, uns aber nur sehr selten mit diesen Dingen zusammen. Und dann auch nur in den seltensten Fällen dabei das in Japan offensichtlich vorgeschriebene Victory-Zeichen machen.
Für einen Japaner ist es unvorstellbar auf einer Deutschlandreise einfach nur den unfertigen Flughafen in Berlin oder andere Industrieruinen zu fotografieren. Man muss sich schon selber davor hinstellen und Zeige- und Mittelfinger in die Luft strecken. In der Reisegruppe findet sich ja immer jemand, der für einen auf den Auslöser drückt.
Warum das so ist? Keine Ahnung... Vielleicht glauben die Daheimgebliebenen sonst nicht, dass man dort gewesen ist.
Vielleicht hat es aber auch was mit Aberglaube und bösen Geistern zu tun. Wer will schon einen unfertigen Flughafen im eigenen Land haben? Außer Matthias Platzeck und Klaus Wowereit wohl niemand.
Ich muss auch gestehen, dass ich bis jetzt um ein anderes touristisches Großereignis in Deutschland immer einen Bogen gemacht habe, ich bin noch auf dem Oktoberfest gewesen.
Im August 2012 hat sich das geändert, klingt komisch, ist aber so. Wir waren auf dem Oktoberfest in Shiba, das traditionell immer im August stattfindet.
Man darf beim Begriff "Oktoberfest" in Japan nicht in jahreszeitlichen Dimensionen denken, das ist eher ein Produktname. - Bei der SPD ist ja auch mal sehr wenig vorwärts gegangen, trotzdem heißt das Parteiblatt seit 136 Jahren so.
Eigentlich wollten wir ja gar nicht aufs Oktoberfest, aber dort gab es Hefeweizen und Köstritzer vom Fass. Nach vier Monaten in Japan ist das als Argument für den Entschluss "Wir können ja mal gucken" mehr als ausreichend gewesen.
Mit uns hatten noch viele andere Japaner beschlossen, ein Bier auf dem Oktoberfest trinken zu gehen, es war voll.
Zu den Bierpreisen sei nur kurz gesagt: Das Bier muss offensichtlich von Sänften-Trägern nach Japan gebracht worden sein... Und zwar von Sänften-Trägern, die nach dem alten Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes bezahlt werden. Aber es war Weizenbier und ich will nicht meckern. - Sagt die beste Ehefrau, die ich je hatte.
Der halbe Liter Bier zu zweistelligen Eurobeträgen und Temperaturen von 31 Grad haben die Bierzeltbesucher nicht vom Feiern abgehalten. Kurz: Die Gäste im Bierzelt sind abgegangen wie die Nordic-Walking-Gruppe von meiner Mutter am Volkswandertag.
Wir haben aber das gemacht, was wir in Deutschland wohl auch gemacht hätten: Uns ein ruhiges Plätzchen draußen gesucht. Das haben wir nur leider nicht gefunden. Macht aber nix, dann sitzen wir halt in einem knüppelvollen Biergarten, trinken Weizen und essen Edamame. Das sind in Salzwasser und der Hülse gekochte, ganze Sojabohnen, praktisch Vollwert-Kartoffelchips. Ein beliebter Snack zum Bier.
Ich bin nur noch einmal im Bierzelt gewesen: Als die Stimmung hochkochte und eine Polonaise durch das Zelt gezogen ist. Ich konnte mich davon überzeugen: In jedem Japaner steckt ein "Party-Animal", man muss es nur rauslocken. Dazu braucht man in Japan drei Dinge: Bier, einen lustigen Hut und jemanden, der einen mit dem lustigen Hut fotografiert.
Am kommenden Wochenende ist der Spaß vorbei, dann zieht die Karawane weiter. Das nächste Oktoberfest findet dann in Toyosu statt. Das sind sechs Stationen mit der U-Bahn. Es gibt wohl echt einen Markt für Oktoberfeste.
Da verwundert es doch fast, dass das Oktoberfest in München nur einmal im Jahr stattfindet... Aber gut, dafür ist dann dort das Bier ja auch viel billiger. Da kann man ja nix verdienen.
Fazit: Das Bier war lecker, der Abend sehr unterhaltsam... Aber zum Essen haben wir und keine Bratwurst am Spieß oder eine Schweinshaxe mit Stäbchen geholt. Wir sind dann doch in einem japanischen Nudelsuppen-Laden gewesen. Ich erwähnte es ja bereits: Wir japanisieren.
So, ich mache jetzt Feierabend, ich muss noch meine Japanisch-Hausaufgaben machen. Aber ich halte Euch auf dem Laufenden. Versprochen.
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