Freitag, 28. Oktober 2011

Ein Fahrrad für die Mutti...

Ganz ehrlich: Ich habe in der Zeit hier wirklich nur eine Sache vermisst, und zwar mein Fahrad.
Ich hatte mich an die Radtouren ins Umland in diesem Sommer wirklich gewöhnt, aber vielmehr habe ich meinen Drahtesel für die Besorgungen des täglichen Lebens vermisst. Es ist wirklich doof, wenn man die Einkäufe in diversen Tüten erst zur U-Bahn schleppen muss, dann eine Station fährt und dann wieder die Einkäufe in die Wohnung buckelt.

Ich hätte es vorher nicht geglaubt, aber Tokyo ist eine Stadt in der man gut Fahrrad fahren kann. Sie ist nicht fahrradfreundlich, wir sind hier ja nicht in Münster. Es gibt hier praktisch keine Radwege, aber die generell freundliche und rücksichtsvolle Mentalität der Japaner erhöht die Überlebenschancen von Radfahrern signifikant. Außerdem gibt hier etwas nicht, dass in Berlin ein täglicher Begleiter auf allen Radwegen und Strassen ist: Schlaglöcher.
Deshalb ist das Rad ein beliebtes Fortbewegungsmittel, Pendler fahren damit zum Bahnhof, Fahrradkuriere verdienen damit ihr Geld und Polizisten fahren damit Streife in den Wohngebieten.














Die japanische Polizei hat mit ihrem ständigen Schutz für die Schwachen und Betrunkenen dafür gesorgt, dass es einige kuriose Gesetze für Radfahrer gibt. Zum Beispiel:
Tandems sind grundsätzlich illegal, außer in der Präfektur Nagano.
Das ist eine sehr enge Auslegung des Gesetzes, das besagt, dass keine zwei Erwachsene auf einem Fahrrad fahren dürfen. Man will damit verhindern, dass ein leicht druckbetankter Jungmanager all seinen Mut zusammennimmt und sich seine auf hohen Pumps schwankende Kollegin auf die Lenkstange pflanzt, um sie so nach Hause zu bringen. Diese in den 50er-Jahren in Deutschland durchaus übliche Form der Eheanbahnung ist im Japan des 21. Jahrhunderts wohl nicht erwünscht.
Die Ausnahme für Nagano verstehe ich auch nicht, fragt bitte nicht.
Es gibt aber eine Untergrund-Organisation, die auf eine geradzu unglaublich anarchistische Art und Weise dieses Gesetz unterwandert: Das "Japan Bicycle Promotion Institute" verleiht jeden Sonntag Tandems an Leute, die damit im kaiserlichen Palastgarten umherfahren wollen. Offiziell ist das kostenlose Leih-Tandem als Transportmittel für Blinde deklariert, es kann aber auch von Sehenden benutzt werden... Auf solch subversive Ideen kommen in Deutschland nur Steuerhinterzieher.

In Japan muss ein Fahrrad drei Dinge haben, damit es verkehrssicher ist: Einen Scheinwerfer vorne, einen Rückstrahler hinten und eine Klingel. - Bremsen sind genauso optional wie "Hello Kitty"-Gebämsel an der Lenkstange.

Alle Fahhräder müssen hier bei der Polizei registriert werden. So will man verhindern, dass sie geklaut werden. Und niemand klaut in Japan Fahrräder, sie sind ja alle registriert... Man klaut aber auch sonst keine Dinge, auch wenn sie nicht regisriert sind. Es gibt aber trotzdem einen guten Grund für jeden Japaner, sein Fahrrad anzuschließen, nämlich damit es nicht umfällt... Es könnte dabei ja ein anderes Fahrrad zerkratzen.

Man muss mit einem Fahrrad auf der linken Strassenseite fahren, so wie alle anderen Verkehrsteilnehmer auch. Ein Radfahrer darf den Bürgersteig nicht benutzen, es sei denn, er wurde von einem Polizisten dazu aufgefordert. Diese Aufforderung gilt dann wohl zeitlich unbegrenzt. Praktisch sieht es dann so aus: Radfahrer fahren dort wo Platz ist, entweder auf der Strasse, oder auf dem Bürgersteig. Wenn die Sonne scheint, dann fahren Radfahrer dort, wo Schatten ist.

Meine praktischen Beobachtungen haben auch noch eins gezeigt: Man darf als weiblicher Teenager in Japan sein Fahrrad nur dann benutzen, wenn man dabei perfekt geschminkt ist und zu wenig Luft auf den Reifen hat... Das kommt davon, wenn der Papa so lange arbeitet: Dann ist niemand im Haus, der weiß wie eine Luftpumpe bedient wird.

Man darf und kann überall Rad fahren, es ist praktisch und verglichen mit dem Auto schnell und preiswert. Außerdem werden auf Fahrräder keine Steuern erhoben, aber ich will hier ja niemanden auf Ideen bringen.

All diese Faktoren haben dazu geführt, dass clevere japanische Ingenieure für ihre Frauen das "Mamachari" erfunden haben. Das Mamachari ist der "VW Polo Kastenwagen" unter den Fahrrädern: Nicht schön, aber praktisch. Und gar nicht mal teuer (Ich hätte nie gesagt, dass ich diesen Satz in Zusammenhang mit Japan noch einmal sagen kann.)
Der Begriff "Mamachari" setzt sich aus den Begriffen "Mama" und "Chari" zusammen: "Mama" steht für Mutter und "Chari" ist ein ziemlich abwertender Begriff für Fahrrad... Also so wie "Pampersbomber" für einen Passat Variant. Und genauso zutreffend.
Kurz zur technischen Ausstattung: Ein Mamachari hat einen tiefen Einstieg und vorne einen großen Einkaufskorb. Es gibt auch Varianten, bei denen der Korb vorne so groß ist, dass man neben den gesamten Einkäufen auch noch einen ausgewachsenen Peter Maffay reinbekommt. Dazu kommt ein stabiler Ständer und eine laute Klingel, mit dem Fußgänger auf dem Bürgersteig anklingeln kann, um sich gleich danach für die Klingelei zu entschuldigen.
Wenn man zwei kleine Kinder hat, oder ein Kind und viele Einkäufe, dann sieht das Ganze so aus:













Liebe Prenzlauer-Berg-Muttis: Ihr seht, es geht also auch ohne ein 3.000 Euro teures Mountainbike-Anhänger-Gespann mit dem man dann den vernünftigen Menschen die Radwege am Senefelder Platz blockiert.

Sollte es das Auswärtige Amt gut mit uns meinen, und Petra tatsächlich im kommenden Jahr nach Tokyo versetzt, dann will ich auch so ein Fahrrad haben. Schon alleine, um damit die Einkäufe nach Hause zu bekommen... Ich muss dann nur zwei Dinge klären: Die Farbe... Und wo das CD-Schild befestigt wird.

Außerdem will ich noch rausbekommen, wozu die beiden durchsichtigen Kunstoffrohre da sind, die senkrecht an den Vorderrädern der Polizeifahrräder montiert sind. Ich habe die Vermutung, da werden Stangen reingesteckt, an deren Spitze die Blaulichter montiert sind. So wie bei den Streifenkamelen in Kairo.

Das kriege ich noch raus, ich halte Euch auf dem Laufenden...

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