Montag, 15. Oktober 2012

Kawaii desu ne

So, zum Ende des Monats Oktober sind wir schon ein halbes Jahr in Japan, und ganz ehrlich: Ich fühle mich heute schon sehr nach Monatsende.
In Gesprächen mit Freunden, Chats und Telefonaten bin ich immer wieder gefragt worden, ob mir Japan gefällt. Regelmäßige Leser meiner Texte haben aber auch gefragt, ob es nicht etwas gäbe, das wir an Japan auszusetzen haben.

Die erste Antwort ist ein ganz klares "Ja!" - Schon alleine weil das Thermometer hier gerade 24 Grad anzeigt und ein strahlender roter Abendhimmel mein Zimmer erhellt. Und dann noch wegen ungefähr 37627 anderen Gründen.

Die zweite Antwort ist auch ein klares "Ja!" - Da fallen mir auch Wettergründe ein... Wenn sich der Herr Geschäftsführer aus der "Doitsu Taishikan GmbH" mit seinem Team schon die Mühe macht, ein Gartenfest zum "Tag der Deutschen Einheit" zu veranstalten, dann kann man es da nicht regnen lassen... Ich hoffe, ich habe beim Verlassen des Festes keinen Dreck aufs Residenzparkett getragen, wenn ja: Sumimasen!

Wo wir gerade dabei sind, hier kommen noch ein paar andere Gründe, die ich an Japan auszusetzen habe, wenn ich die schwarz-rot-goldene Brille trage:

Käse!
In Japan ist Käse entweder von der gummiartig weichen Konsistenz, die man sonst von Wackelpudding kennt, den man mit drei Packungen statt drei Scheiben Gelatine gemacht hat. Oder er ist lecker, in homöopathischen Dosen verpackt und 100 Gramm davon sind zum Gegenwert einer Facebook-Aktie am Emissionstag erhältlich. Man steht irgendwo an einer Käsetheke, guckt verträumt in die Blattgold-verzierten Auslagen und fragt sich, ob 200 Gramm Gruyere es wirklich Wert sind, noch eine Hypothek auf das elterliche Haus im Niedersächsischen eintragen zu lassen.

Brot!
Auch wenn es so schön heißt "Das Auge isst mit", gerade bei Brot geht es nicht darum, dass es nur so aussieht, als hätte es eine Kruste. Es sollte auch wirklich eine haben.
Vollkornbrot bedeutet, dass man es mit vollen Körnern backt... Und nicht, dass man Weißbrot in Tüten steckt, auf die man vorher Körner gemalt hat.

Getränke!
Ich habe es interessiert zur Kenntnis genommen, dass bei den Getränken in Japan nur noch einen Wachstumsmarkt gibt, das sind kohlensäurehaltige Softdrinks. - Das heißt aber nicht, dass man kalten Kaffee mit Kohlensäure versetzen darf und das Ganze dann "Espressoda" nennen kann...
Dann wäre da noch "Mitsuya Cider", ein kohlensäurehaltiger Softdrink, den es laut Wikipedia seit 1884 gibt... In der Zeit hätte man schon mal versuchen können, den fiesen Geschmack von ganz billigem Kinderkaugummi der Marke "Bazooka Joe"aus dem Zeug rauszubekommen.
Beinahe letzter Punkt bei den Getränken: Calpis... Schmeckt nicht ganz so schlimm, wie es der Name vermuten lässt, aber trotzdem.
Dann wäre da noch "Pepsi Salty Watermelon", Pocari Sweat, Melonenbrause und Cola ohne alles, also ohne Koffein und ohne Zucker... Wenigstens nicht durchsichtig.

Mit den Getränken bin ich durch, jetzt zu den Grundnahrungsmitteln: Kaffee!
Ich habe verstanden, dass ungefähr 80 Prozent des Kaffees in Japan fertig in Dosen verkauft wird, und zwar in ungefähr 256 verschiedenen Geschmacksrichtungen. - Wenn man aber schon so viele verschiedene Sorten machen kann, dann kann doch auch mal eine Sorte machen, die schmeckt.

Überhaupt gibt es viele Nahrungsmittel in Japan, die nicht so schmecken, wie man es erwarten würde. Es gibt Reisbällchen, die aussehen, als wären sie mit Karamell überzogen, beim Reinbeissen stellt man fest, dass der Überzug aus Sojasauce mit Meeresfrüchte-Aroma besteht.
Generell sind nur wenige Dinge, die süß aussehen, auch wirklich süß. Die wirklich niedlich-putzig-süße Comicfigur "Doraemon" ist wahrscheinlich auch mit dem Zeug gefüllt, aus dem man in Deutschland Familienministerinnen macht.

Dann gibt es Dinge, die in Japan komplett fehlen. Die beste Ehefrau, die ich je hatte, würde hier an allererster Stelle Mars-Riegel nennen.

Aber nicht nur geschmacklich habe ich an manchen Dingen etwas auszusetzen. - Auch am Handling... Wenn man Kaugummis in Dosen für den Schreibtisch herstellt, diesen Dosen kleine Klebezettel beilegt, dann sollte man auf die Dosen auch außen ein leicht verständliches Bild draufmalen, das erklärt, dass es gar keine Mini-Notizzettel sind, sondern übereinander geklebtes Einwickelpapier für die saubere Entsorgung von ausgekauten Kaugummis.
Das Ding neben dem Kaugummi-Topf auf dem Bild ist ein niedlicher 2GB-USB-Stick, er hat mit den Kaugummis und den Entsorgungsklebern nichts zu tun. Ich wollte nur mal zeigen, was ich für tolle Dinge zum Geburtstag bekommen habe.


Aber genug gejammert, gemeckert, das Schicksal der Welt beklagt. Ich will mich hier ja nicht aufführen  wie Jürgen Klopp in der Coaching-Zone.

Es gibt nämlich etwas, das die Abwesenheit von allem was mir fehlt, wieder ausgleicht. Etwas für das die japanische Sprache extra den Satz "Kawaii desu ne" erfunden hat.
Trommelwirbel! Tusch! Viele viele Blaskapellen, die "So ein Tag, so wunderschön wie heute!" spielen.

Ich präsentiere die Entdeckung meines heutigen Einkaufs:

























Es ist genau das wonach es aussieht: "Hello Kitty"-Nudeln!
Also so richtig coole "Hello Kitty"-Nudeln, nicht nur einfach Nudeln mit einer Katze auf der Tüte. Sondern jede Nudeln ist selber eine kleine Katze, komplett authentisch mit Schleife im Haar. Ich kann mich nur wiederholen: "Kawaii desu ne".

Wie die Nudeln schmecken kann ich nicht sagen, ich komme nicht vom Melmac, ich esse keine Katzen.
Ist ja auch völlig egal, was so niedlich aussieht, das kann auch schmecken wie das Fingerfood auf dem Büffet beim Weihnachts-Kickoff eines großen deutschen, nicht magentafarbenen, Mobilfunkanbieters.

Aber vielleicht überlege ich es mir noch, dann halte ich Euch auch darüber auf dem Laufenden.

PS:
"Kawaii desu ne" spricht sich mit einem langgezogenem E am Ende. Es ist ein Ausruf der Begeisterung, der als Antwort nur ungeteilte Zustimmung und keinerlei Widerspruch zulässt.

Freitag, 5. Oktober 2012

Die unbekannte Nationalsportart: Feldball! ...und dazu ein Bier

Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen Deutschen und Japanern. Zum Beispiel gibt es eine ausgeprägte Vorliebe für Bier und gegrilltes Fleisch in jeder denkbaren Form. Wobei man im Unterschied zu uns Deutschen in Japan zum Grillen nicht unbedingt eine Terrasse und gutes Wetter braucht, man kann es auch auf sehr geschmackvolle Art im Restaurant um die Ecke erledigen.
Das nennt sich dann "Yakiniku" und bedeutet, dass man sein Essen roh an den Tisch bekommt und es sich selbst aus offenem Feuer garen darf. Im Unterschied zu einigen Fischrestaurants ist das Tier beim Yakiniku aber schon tot, richtig tot... Im Falle vom Rind also tot, gut abgehangen und lecker mariniert.
Auf dem Tisch steht dann ein Grill, über dem Grill ist eine Art Saug-Glocke montiert, die sehr an eine Trockenhaube aus den 70er-Jahren erinnert. Durch diese Saug-Glocke werden die Grill-Gerüche, Zigarettenrauch, Hello-Kitty-Haarspangen und Toupets abgesaugt. Man kann also grillen gehen, ohne dass man danach wie ein Nebenerwerbs-Brandstifter riecht.














So viel zu den Gemeinsamkeiten, jetzt zu den Unterschieden: Der größte Unterschied zwischen Deutschland und Japan ist die Nationalsportart. 
In Deutschland ist der Kaiser ein Fußballer, der aus steuerlichen Gründen in Österreich lebt. In Japan ist der Kaiser ein freundlicher ältere Herr, der im letzten Jahr geduldig einen Besuch von einem Osnabrücker Anwalt mit inzwischen abgeschlossener Politik-Karriere und einer literarisch minderbegabter Ehefrau überstanden hat. 
(Wer in dem Zusammenhang den Begriff "überstanden" nicht mag, der ersetzt ihn bitte durch "ertragen".) 

In Deutschland gibt es drei wichtige Positionen: Bundeskanzler, "Wetten, dass..?"-Moderator und Fußball-Nationaltrainer. - In Japan gibt es zwölf wichtige Posten: Das sind die Trainer der jeweiligen "Yakyu"-Teams. 
"Yakyu" bedeutet so viel wie "Feldball", eine Sportart, die in den USA auch als "Baseball"bekannt ist. Als Europäer fragt man sich natürlich, warum eine Nation wie Japan, die eigentlich nur immer das Beste aus anderen Nationen adaptiert und in ihr Herz schließt (Bier, Benz, Beethoven), sich so gründlich für eine Sportart begeistern kann, die in Europa als die Deppenversion von Cricket gilt. 

Das wollten die beste Ehefrau, die ich je hatte, und ich herausfinden, deshalb sind wir mal zum Yakyu gegangen und haben es uns angeschaut. Um aus Unkenntnis über Regelwerk und Gepflogenheiten nicht zu sehr aufzufallen, haben wir kurzerhand einen japanischen Kollegen aus der Botschaft dazu gebracht, uns mitzunehmen. Da er selber ein großer Yakyu-Fan ist, mussten wir ihn nicht lange überreden. 

Also wurden wir kurzerhand Fans der "Yomiuri Giants". Laut unserer Begleitung sind die Giants das "Bayern München des japanischen Baseballs". Aber keine Sorge: Damit ist nur gemeint, dass die Giants Rekordmeister sind. Nicht, dass ihr Sport-Vorstand ein ehemals rothaariger, cholerischer Dresdner ist, der mal zu feige war, den HSV zu trainieren. 

















Wir waren beim Spiel der "Yomiuri Giants" gegen die "Yakult Swallows".
Die "Yomiuri" ist eine große Zeitung in Tokyo, "Yakult" dürfte als Hersteller von Milchgetränken in kleinen Flaschen bekannt sein. Damit war klar: Yakyu ist vollständig durchkommerzialisiert, analog dazu könnten in der deutschen Bundesliga auch der "Hamburger Morgenpost SV" gegen die "Fruchtzwerge Hoffenheim" spielen. Wobei natürlich klar wäre, dass der HMSV gewinnen würde, sagt jedenfalls die beste Ehefrau, die ich je hatte. 

Gespielt wird das ganz natürlich in der Halle, wobei der Begriff "Halle" den "Tokyo Dome" nur sehr grob beschreibt. Der "Tokyo Dome" fasst als Yakyu-Stadion 55.000 Zuschauer, ist aber auch Konzerthalle mit 42.000 Plätzen. 
Die Halle ist innen echt beeindruckend. Übrigens findet dort im Dezember das "Super-Oktoberfest" statt, angeblich das größte "Indoor-Bierfest" der Welt. Michael Jackson hat hier in seiner Karriere 21 ausverkaufte Konzerte gegeben, die zusammen mehr als eine Million Zuschauer hatten. Soviel aus dem Guiness-Buch.
















Die Giants haben übrigens pro Saison weit mehr als 21 ausverkauft Auftritte dort... Aber Baseball-Spieler fassen sich ja auch noch öfter in den Schritt als der selige Jacko. 

Zurück zum Spiel: 

Die Vereinsfarbe der Giants ist Orange, oder wie Goethe es nannte: Rothgelb. Als Fußballfan hat diese Farbe bei mir natürlich Widerstände ausgelöst, wer will schon für eine Mannschaft klatschen, die an niederländische Nationalspieler mit erhöhtem Speichelfluss erinnert? Wenigstens verbietet sich der Vergleich mit dem örtlichen Entsorger, in Japan sind die Müllwagen nämlich blau. Und sie sprechen beim Abbiegen, aber das ist ein anderes Thema. 
Man kann also in den Fanshops alles kaufen, was orange ist, das Giants-Logo trägt, oder das Gesicht des Giants-Maskottchen hat. Zum Beispiel Kekse. Oder orange Plüschschildkröten mit der Nummer 9 drauf. Abgesehen davon, dass sie natürlich total "Kawai", also niedlich sind, sollen sie den Spieler Yoshiyuki Kamei anfeuern, Kamei bedeutet nämlich "Schildkröte". 
Ich hatte etwas Sorge, dass mich zu viel orange Farbe zu einem Freund von Mark van Bommel oder Fred Frikandel werden lässt, also habe ich mir eine schwarze Mütze mit wenig Orange und dem Namen und Trikotnummer von Shinnosuke Abe gekauft. 
Müßig zu erwähnen, dass genau dieser Spieler im Spiel dann den ersten "Home Run" geschlagen hat.

Die Yakyu-Regeln sind ganz einfach: Einer wirft, der andere schlägt und rennt, am Ende gewinnen die Giants.

So war es auch diesmal, die Giants haben nicht nur das Spiel gewonnen, sondern damit auch noch die Meisterschaft in der Liga. - Jetzt geht es Mitte Oktober um die Japanische Meisterschaft. 

Die Mannschaft der Giants hat nach dem Sieg, ihren Trainer adäquat gefeiert: 















Wie gut, dass in Deutschland die Fußballtrainer nicht auch so gefeiert werden. Jupp Heynckes hätte Angst, dass er Rücken bekommt, er würde also alles tun, damit er mit den Bayern nicht Meister wird. - Also im Prinzip genau das Gleiche, was er in den beiden letzten Jahren auch getan hat.

Fazit: Yakyu ist ein Erlebnis, aber es ist nicht unsere Sportart. Nett anzusehen, aber das eigentliche Erlebnis ist die Stimmung, die die Fans in der Halle machen. Und der perfekte Kommerz, der rund um das Spiel existiert. Es gibt nicht nur Eisverpackungen in den Giants-Farben, Autogrammstunden mit den Cheerleadern sondern jeder denkbare Merchandising-Kram. Natürlich auch mit  orangenen "Hello Kittys". 

Aber es gibt auch noch richtige Leistungssportlerinnen im Stadion, nämlich die Bier-Verkäuferinnen. Es gibt im Prinzip von jeder großen Biermarke eigen Bierverkäuferinnen, die in unglaublicher Geschwindigkeit mit ihrem Bier-Rucksack durch die Gänge huschen. Wer daheim lieber "Suntory Premium Malts" statt "Asahi Dry" trinkt, der kann das auch im Stadion tun. Er muss nur ein paar Minuten warten, bis die selbstverständlich freundlich lächelnde Verkäuferin vorbeikommt, und einem ein frisches Bier aus ihrem Rucksack zapft. Und nicht ein vor Stunden gezapftes Warsteiner, mit dem man in Berlin das unkritische Publikum vergiftet.  















Das weiße Tuch, dass die Dame im Ausschnitt trägt ist übrigens kein Lappen, mit dem sie mal eben durch ein Glas wischt. Dieser Lappen ist ein Schweißlappen, damit Lächeln und Makeup nicht durch Schweißperlen entstellt werden, während man mit einem Rucksack voller Bier durch den Tokyo Dome rennt. 

Was war sonst noch? Tag der Deutschen Einheit, eine Fahrt mit der Schwebebahn und noch mehr Oktoberfeste... 
Davon bald mehr, ich halte Euch auf dem Laufenden.